Notbergungen. Archäologische Schätze aus Jever

30. November 2008 – 31. März 2009 (verlängert bis 03. Mai 2009!)

Stadtansicht Jever 1741
Stadtansicht Jever 1741

Die Notbergungen archäologischen Fundgutes auf dem Kirchplatz zu Jever 2006 und 2007 unterstreichen ein weiteres Mal, dass Jever seit dem Frühmittelalter zu den zentralen Orten auf der Ostfriesischen Halbinsel gehörte. Die Funde geben nicht nur einen interessanten Einblick in die einstige Alltagswelt, sondern sie dokumentieren eindrucksvoll auch den Wandel der Bestattungssitten seit dem Mittelalter. Ergänzt werden diese neuesten Funde durch faszinierende Objekte aus den Nachkriegsgrabungen auf dem Kirchplatz.

Kurz nach Beendigung der archäologischen Rettungsgrabungen auf dem Kirchplatz in Jever zeigt das Schlossmuseum bereits eine Ausstellung zur Archäologie des Kirchhügels.

Der Kirchplatz und die angrenzende Altstadt blicken auf eine über tausendjährige Geschichte zurück. Als Keimzelle für die Entwicklung einer frühmittelalterlichen Siedlung und als Kirchenstandort mit Friedhof kommt ihnen eine zentrale Bedeutung für das Entstehen der Stadt Jever zu. Obwohl über eine unvorstellbar lange Zeit traditionell als Begräbnisstätte genutzt und erst vor 200 Jahren aufgegeben, war die Existenz des Friedhofs bis vor kurzem fast in Vergessenheit geraten.

Im Zuge der Neugestaltung des Platzes und Teilen des umgebenden Altstadtviertels wurden zuletzt von 2005 bis 2008 massive bauliche Eingriffe in das bodendenkmalpflegerisch außerordentlich wertvolle Areal vorgenommen. Sie zogen eine Reihe von Aktionen zur Dokumentation der archäologischen Substanz nach sich: angefangen bei Notbergungen durch engagierte Bürger mit dem drohenden Bagger im Rücken, die zur Rettung wichtiger archäologischer Funde beitrugen, bis hin zu einer Rettungsgrabung des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege in Oldenburg im Frühjahr 2008. Dabei wurden für die Stadthistorie wichtige neue Entdeckungen gemacht.

Die große Resonanz der Öffentlichkeit an den archäologischen Maßnahmen, insbesondere den wiederentdeckten Bestattungen des 17. bis 18. Jahrhunderts verdeutlicht die Bedeutung des Themas, nicht allein für die Einwohnerschaft Jevers.

Die Ausstellung knüpft gewissermaßen da an, wo die archäologischen Rettungsgrabungen im Mai beendet wurden. Sie will vor allem die Bedeutung der Archäologie für die Stadtgeschichte und die Wichtigkeit von archäologischen Untersuchungen für zukünftige Bauvorhaben herausstellen. Dabei gibt sie einen Abriss der Entwicklung und Nutzung des Kirchplatzes und seiner unmittelbaren Umgebung sowie einen Überblick über die bisherigen archäologischen Aktivitäten vor Ort. Neue, aussagekräftige Funde werden gemeinsam mit ersten Erkenntnissen der aktuellen archäologischen Maßnahmen präsentiert.

Die Ausstellung spannt den Bogen von den archäologischen Untersuchungen in der Altstadt während der 1950er bis 1980er Jahre, deren Funde den Grundstock der archäologischen Sammlung des Schlossmuseums bilden, bis hin zu den aktuellen Notbergungen. Sie wandelt auf den Spuren des Archäologen Marschalleck, der als erster vermutlich zwei sehr frühe Holzkirchen und eine romanische dreischiffige Steinkirche nachweisen konnte und außerdem feststellte, dass das Friedhofsareal als Rückzugsterritorium in Unruhezeiten von einer mächtigen Wall-/Grabenanlage umgeben war.

Die Ausstellung gewährt Einblicke in einen modernen Gegenstand archäologischer Forschung, die neuerdings die jüngste Vergangenheit für sich entdeckt hat. Zu dieser zählt zweifellos die letzte Nutzungsphase des Friedhofs. Totenkronenfragmente in den Gräbern jung Verstorbener erzählen von einer bemerkenswerten Beigabensitte . Anordnung und Art von Gräbern und Grüften gestatten Hinweise auf eine Hierarchie innerhalb des Friedhofs. Vollständig geborgene Skelette ermöglichen zudem anthropologische Aussagen über die damalige Bevölkerung.

Särge und Skelette geben Auskunft über Bestattungssitten im Wandel der Zeit. In Jever haben sich durch einen glücklichen Umstand, nämlich die Abdeckung des Friedhofhügels mit undurchlässigem Kleiboden, sogar mittelalterliche Särge aus Holz erhalten. Ergänzt um erstmals in Jever nachgewiesene Sandsteinsarkophage – einst über den Main und Rhein flussabwärts transportiert und hierzulande ein begehrter Sargtyp der Elite des 10. bis 12. Jahrhunderts. – werden Bestattungstraditionen des Mittelalters greifbar.

Die Ausstellung präsentiert ebenfalls Objekte, die das Alltagsleben in Mittelalter und Früher Neuzeit dokumentieren, als Jever eine bedeutsame überregionale Handelsstadt war. Selbst auf den ersten Blick unscheinbare Fundstücke bergen wichtige Informationen für die Archäologie. So können z. B. Keramikscherben und Münzen viel über chronologische Fragen und regionale Verbindungen aussagen, Ziegelbruchstücke über längst vergangene Bauten, Tonpfeifenstücke etwa über das weit verbreitete Tabakrauchen.

Die archäologischen Untersuchungen und ihre Auswertung stehen noch ganz am Anfang. Einige Fundstücke werden erst in Zukunft nach eingehender Analyse ihren Informationsgehalt offenbaren. Die anthropologische Datenerhebung anhand der ausgegrabenen menschlichen Gebeine wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Funde und Fundzusammenhänge tragen dennoch schon jetzt dazu bei, die örtliche Historie zu erhellen, auch wenn unter der heutigen Ziegelpflasterung in der Altstadt mit Sicherheit weitere Schätze verborgen liegen. Text und Fotos: Bettina Petrick.