Empirekleid aus dem Jeverland um 1800 [07]

kleid1Einteiliges, hochtailliertes Hemdkleid aus dem Jeverland um 1800. Seide, grün-violett, mit eingewebtem Rautenmuster (violett) und gelbweißem Streublumenmuster. Ausschnitt und Taille mit Zugschnur zusammengehalten.

Es ist schon ungewöhnlich genug, wenn eine fast zweihundert Jahre alte Textilie noch den Weg ins Museum findet. Denn im Gegensatz zu den aus Holz oder Metall gefertigten Dingen besitzen Kleidungsstücke schon wegen des vergänglichen Materials, aus dem sie bestehen, eine geringere Lebensdauer. Hinzu kommt, daß alle Formen von Kleidung modischen Schwankungen unterworfen sind und auch in dieser Hinsicht einen größeren Abnutzungsgrad aufweisen als zum Beispiel Möbel oder Hausrat. Um so höher ist deshalb der jüngste Zuwachs für die Textiliensammlung des Schloßmuseums Jever zu bewerten, zumal es sich um ein charakteristisches Stück aus der Frauenkleidung des frühen 19. Jahrhunderts handelt.

Das Kleid, von privater Seite dem Museum gestiftet, befindet sich in einem sehr guten Zustand. Die wenigen Gebrauchsspuren, sowie die geringe Ausbleichung lassen vermuten, daß es nach seiner Anfertigung nur zu besonderen Anlässen getragen und auch nach dem Ablegen durch die Trägerin sehr sorgfältig aufbewahrt wurde. Zur Herstellung des Kleides wurden etliche Ellen des mit einem gelb-weißen Streublumenmuster versehenen Seidenstoffs benötigt. Das aus grünen und violetten Fäden gewebte Rautenmuster verlangte vom Schneider zudem einen großzügigen Umgang mit der Schere, um den aus acht Bahnen bestehenden Rockteil des Kleides passend zusammenzunähen. Weniger Material benötigte er für das mit Leinen unterlegte Oberteil, in das noch zusätzlich ein vorne geschnürter Brustlatz eingearbeitet wurde.

Trägerin des Kleides ist Margarete Rittershausen vom gleichnamigen Hof in der Nähe von St. Joost, Kreis Friesland, gewesen. 1798 heiratete sie den Pastor Regensdorf aus Minsen, der zuvor die Pfarrstelle in Wangerooge innegehabt hatte. Aus familiengeschichtlichen Unterlagen von 1920 geht hervor, daß die beiden “ein etwas wunderliches Paar” abgegeben hätten, “der große dunkle Mann und das kleine kinderhaft schmale Wesen im grün-blau schillernden Kleide”.

Ob das ausgestellte Kleid nun tatsächlich das Hochzeitskleid der jungen Frau gewesen ist oder nur zu ihrem späteren Sonntagsstaat gehörte, es ist jedenfalls ein besonders aufschlußreiches Beispiel für ein am aktuellen Modegeschehen der Zeit orientiertes Kleidungsverhalten. Vor dem Hintergrund von Angebot und Nachfrage herrschte im prosperierenden Jeverland ein auf Käuferbedürfnisse abgestimmtes Zusammenspiel von Händlern, Produzenten und Konsumenten vor. Die an bürgerlichen Wertmaßstäben orientierte jeversche Bevölkerung griff das auf, was in den größeren Zentren wie Hamburg oder Bremen das Bild der Zeit bestimmte. Neben den örtlichen Kaufleuten priesen 1799 auch fremde “Galanteriewarenhändler” ihre neuesten Stoffe und Kreationen im Jeverschen Wochenblatt an (J.W., 22.4.1799):
“J. John & Comp. aus Hamburg empfehlen sich dem geehrtesten Publicum mit einem vollständigen Sortiment Galanterie, wie auch französischen und englischen Waaren, als: Blumen, Kränzen, Federbüschen, goldenen und silbernen Schnüren, Trodeln, Ringen, Medaillons, Castorhüten, Schäften, Stiefeln, Handschuh à la Pamela, seidenen, cattunen und Musselinentücher, Shawls Tücher à l’Aegyptienne, Ziß, Calicos, Singan, Linon, Piquet, Casimir, Manchester, Gilets à la Nelson, Strümpfen, wie auch Mode- und andere Waaren zu billigen Preisen, und logiren bei Lichtenberg im Bremerschlüssel.”.

Mit der Eröffnung des städtischen Theaters (1799), des “Comödienhauses” in Jever, gelangten neue Kulturangebote ins Jeverland. Zu den gelesenen Zeitschriften gehörten bereits das “Journal des Luxus und der Moden” (J.W., 10.3.1800); und “zwei französische Damen” machten am 29. April 1799 dem “geehrten Publikum hierdurch ergebenst bekannt, daß sie alle mögliche Frauenzimmerarbeit, als Nähen, gestickte Arbeit und was sonst zur Mode gehört, verfertigen” (J.W.)

Margarete Rittershausen konnte davon ausgehen, daß sie mit ihrem Seidenkleid modisch-aktuell angezogen war, ohne gegen irgendwelche Kleidungsnormen zu verstoßen. Die Kleider mit der hochgerutschten Taille – unverwechselbare Zeichen der einsetzenden Empire-Mode – hatten sich kurz vor 1800 bereits im Bürgertum, wenig später dann auch bei den Frauen und Mädchen der ländlichen Oberschicht durchgesetzt. 1804 fertigte der Silhouetteur Ferdinand Trümpelmann aus Hannover einen Scherenschnitt von den Kindern des Kaufmanns Melchior Hemken aus Bockhorn an, auf dem die Mädchen alle in den hochtaillierten Kleidern dargestellt sind! Diese fast uniforme Ausstattung läßt vermuten, daß sich im Tragen dieser Kleider mehr als nur modisches Diktat äußerte. Als mit der französischen Revolution die alte ständische Ordnung in ihren Grundfesten erschüttert wurde, vollzog sich auch im Kleidungsverhalten ein radikaler Umschwung. In der Frauenmode kam dies vor allem in der Abkehr von allen den Körper einengenden Staffagen, Korsetts und Polsterungen zum Ausdruck. An die Stelle der Reifröcke und Roben traten die unter der Brust gegürteten “Chemisenkleider” aus leichten, fast durchsichtigen Stoffen wie Musselin, Batist oder Kattun. Aus diesen antikisierenden Vorbildern entstand, gemäß der “mode à la grèque”, das frei fallende Hemdkleid mit kurzen Armen, dem das hier geschilderte Beispiel sehr nahe kommt.

Es war erstaunlich, wie schnell die Frauen in Nordwestdeutschland dieser Mode folgten – einer Mode, die nicht mehr vom Adel kreiert oder propagiert wurde, sondern von jenen, die als schillernde Randfiguren der neuen Gesellschaft modisches Kleidungsverhalten bestimmten. Es sind die Außenseiter gewesen, die “Incroyables” oder ” Merveilleuses” (=Extravaganten), unter ihnen auch viele Schauspielerinnen, die zu den Trendsettern des Modegeschehens wurden. Vom übrigen Bürgertum wurden diese Moden erst dann übernommen, wenn sie nicht mehr auffällig waren, aber trotzdem auszeichneten. Unter diesen Bedingungen entwickelte sich auch das Hemdkleid zu einem Abzeichen neuer Wertvorstellungen, und zwar in dem Sinne, daß das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken als niveaubildend begriffen und gleichsam zum Spiegelbild gewachsenen bürgerlichen Selbstbewußtseins wurde.
Uwe Meiners

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Die Kinder des Kaufmanns Melchior Hemken (1766-1806) aus Bockhorn, Kreis Friesland. Scherenschnitt von Ferdinand Trümpelmann, 1804.

Literatur:
Erika Thiel: Geschichte des Kostüms. Die europäische Mode von den Anfängen bis zur Gegenwart. 7. Aufl. Wilhelmshaven 1980
René König: Menschheit auf dem Laufsteg. Die Mode im Zivilisationsprozeß. München, Wien 1985
Helmut Ottenjann: Lebensbilder aus dem ländlichen Biedermeier. Sonntagskleidung auf dem Lande. Cloppenburg 1984
Gerda Schmitz: Kleidung im Münsterland von 1750 – 1850. In: Mode, Tracht, regionale Identität. Hg. von H. Ottenjann. Cloppenburg 1985, S. 116-136

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