Handgemalte Laterna magica-Bilder aus der Zeit um 1800 [25]

lmag2Laterna magica-Bild aus der Zeit um 1800. 3,4 x 15 cm. Sammlung Schlossmuseum Jever. – Die dargestellten Figuren werden mit Hilfe einer (zeitlich erheblich späteren) Aufschrift als “Augustine”, “Minna”, “Sergeant Gretsch” und “Bauer Rübenstrunk” kenntlich gemacht. Beim langsamen Hindurchschieben des Glasstreifens durch die Laterne scheinen die Figuren nacheinander auf. Dem Betrachter sollte dadurch der Eindruck eines Handlungsablaufs vermittelt werden.

Im Londoner Pestjahr 1666 vermerkt der englische Flottenbeamte Samuel Pepys in seinem berühmten “Diary” den Kauf einer Laterne mit Glasbildern, um allerlei seltsame Dinge an der Wand erscheinen zu lassen – eine Laterna magica also. Auch in Deutschland erfreute sich diese optische Vergnügung großer Beliebtheit. Die Reihe der 26 kleinformatigen Glasmalereien im Schloßmuseum Jever stammt aus Leipzig – bereits eine ungewöhnlich genaue Information zu dem inzwischen so gründlich in Vergessenheit geratenen Medium. Manchem Betrachter mögen die Bilder heute eher kurios und ungelenk erscheinen. Handgemalte Laternenbilder aber, frühe Vorläufer unserer Diapositive und ein wichtiger Teilaspekt der Vorgeschichte des Films, sind inzwischen außerordentlich selten, als Sammlerstücke gesucht. Die zur Projektion bestimmten Glasstreifen, etwa 3 cm hoch und 15 cm lang, stammen aus dem Besitz der Familie des jeverschen Malers Friedrich Barnutz (1791 – 1867). Durch einen Nachfahren des Künstlers gelangten die Bilder in das Schloßmuseum Jever.

Das Themenspektrum der Malereien ist breit gefächert, denn Laternenbilder dienten unseren Vorfahren nicht nur zur Unterhaltung, sondern ebenso als lehrreiche Informationsquelle. Neben biblischen Motiven, wie dem Paradies oder einer Kreuzigungsszene, finden wir Darstellungen ländlichen Lebens, etwa der Feldarbeit, Militärisches und Historisches, Alltagsszenen und Kurioses. Aufschriften auf den Bildern geben zwar genaue Lokalisierungen der Szenen, sind aber erst in wesentlich späterer Zeit hinzugefügt worden. Üblicherweise erläuterte nämlich der Vorführer bei der Projektion die dargestellten Szenen dem Publikum. Das exakte Alter der Bilder läßt sich nur schwer bestimmen. Vielleicht bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts gemalt, lassen stilistische Merkmale auch die Entstehung im frühen 19. Jahrhundert denkbar erscheinen. Unklar ist darüber hinaus die genaue Verwendung unserer Bilder: Handelte es sich um ein Spielzeug, oder wurden sie von einem professionellen Laterna magica-Künstler vorgeführt?

In der Geschichte des Projektionsmediums Laterna magica sind viele Fragen offen, schon der Zeitpunkt der Erfindung ist umstritten. Erste Hinweise finden sich in den Schriften des englischen Gelehrten Roger Bacon im 13. Jahrhundert, zweihundert Jahre später machte Leonardo da Vinci Experimente auf dem Gebiet der Projektion. Sichere Belege über die genaue Beschreibung und Anwendung des technischen Prinzips der Zauberlaterne aber gibt es erst seit dem 17. Jahrhundert. Als Erfinder der Laterna magica wird heute allgemein der holländische Physiker Christian Huygens (1629 – 1695) angesehen, der 1659 einen Apparat zur Projektion von Glasbildern konstruierte, wahrscheinlich bereits mit einer Verstärkerlinse zur Aufhellung des projizierten Bildes versehen. Bei den frühen Laternen diente eine Öllampe im Inneren des Gehäuses aus Holz oder Blech als Lichtquelle. In den Motiven der Laternenbilder des 17. und 18. Jahrhunderts spiegeln sich Weltbild und Denkformen der Zeit, religiöse Themen und Abbildungen des Teufels stehen ebenso im Vordergrund wie Skelette und Gespenster. Perfektioniert wurde die Wirkung der “Schreckenslaterne” durch die Projektion von Geisterbildern auf Rauchschwaden und Vorhänge. Fahrbare Laternen veränderten die Abbildungsgröße, gegeneinander verschiebbare und übereinander projizierte Glasbilder erweckten den Eindruck von Bewegung, untermalt durch unheimliche Geräusche, die das Publikum in den abgedunkelten Räumen in Angst und Schrecken versetzten.

lmag3Laterna magica-Vorführung durch wandelnde Schausteller. Radierung nach Schenau, um 1765. Bildarchiv Deutsches Filmmuseum Frankfurt am Main.

Im 19. Jahrhundert erzielten zunächst Kalklichtbrenner und schließlich elektrische Bogenlampen eine höhere Lichtausbeute, mehrere Laternen in einem Gehäuse ermöglichten Überblendprojektionen. Die Laterna magica ist nun gleichfalls Kinderspielzeug wie seriöse Unterhaltung im Kreis der Familie, wird auf Jahrmärkten dargeboten und findet in der Vortragstechnik für Schulen und Universitäten Anwendung. Auch im friesischen Raum zogen Schausteller durch das Land, um in abendfüllenden Veranstaltungen die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen, sei es mit humoristischen Darstellungen, schlichtem Horror oder gar belehrenden Bildern aus fernen Ländern.

Das technische Interesse der Zeitgenossen richtete sich vor allem auf die Projektionsapparate. Informationen zur Entstehung handgemalter Laternenbilder sind uns daher kaum überliefert, obschon sich bald eine eigenständige und hochentwickelte Laternenmalerei entwickelte. Bevor im 19. Jahrhundert die Massenproduktion von gedruckten Glasbildern einsetzte, vor allem in England und Deutschland, bildeten große Laternenhersteller sogar eigene Maler als hochspezialisierte Kräfte aus. Da die Bilder fast nie signiert wurden, kennen wir leider nur wenige der Künstler, die die aufwendige Technik der Glasmalerei beherrschten. Zunächst mußte das fehlerfreie Tafelglas mit Alkohol gereinigt werden, dann zeichnete der Maler die Konturen der Vorlage vom Papier mit dunkler Wasserfarbe durch. Nach dem Fixieren konnte er dann die verschiedenen Farben aufbringen, zunächst die hellen, dann die dunklen. Jede der lasierenden Farbschichten wurde einzeln gefirnißt. Dabei mußte der Maler sehr genau arbeiten, bedenkt man, daß bereits geringste Fehler der Pinselführung in der Projektion um ein Vielfaches vergrößert erscheinen. Wahrscheinlich waren die Farbrezepturen Betriebsgeheimnisse der Künstler, und so verwendete wohl auch der Schöpfer unserer Laternenbilder seine ganz eigenen Farbmischungen.

Die Gestaltung der Laternenbilder verweist auf eine Veränderung der Wahrnehmungsweise: Nicht mehr isolierte Motive erkennen wir auf einigen der Glasstreifen, sondern eine Reihung verschiedener Ereignisse, die beim Hindurchschieben durch die Laterne einen Bewegungseindruck vermitteln soll – ganz ohne mechanische Hilfsmittel. Den Zuschauern in vergangenen Jahrhunderten fiel dieser frühe filmische Blick sicherlich entschieden leichter, als es uns heute möglich ist. Kaum rekonstruierbar sind auch die Handlungszusammenhänge, die bei den thematisch verwandten Bildern vermutet werden können. Eine schriftliche Anweisung zu den Glasbildreihen existiert zwar nicht, dennoch fügen sich etwa die humorvoll aufgefaßten Figuren, welche eine (wesentlich spätere) Aufschrift als Augustine, Minna, Sergeant Gretsch und Bauer Rübenstrunk ausweist, sicherlich ebenso zu einer fortlaufenden Handlung, wie die biblischen Darstellungen des Garten Eden und der Arche Noah oder die historisch-militärischen Bildfolgen von Land- und Seeschlachten. Über Inhalte solcher Geschichten aber können wir nur mutmaßen, wie so oft bei diesem reizvollen vor-filmischen Medium, dessen Bedeutung weit über die eines einfachen optischen Spielzeugs hinausreicht.
Sven Pieper

Literatur:
Greenarcre, Derek: Magic Lanterns. Aylesbury 1986 (= Shire Album 169)
Hoffmann, Detlef; Junker, Almut: Laterna magica. Berlin 1982
Hoffmann, Detlef; Thiele, Jens (Hg.): Lichtbilder – Lichtspiele. Marburg 1989
Hrabalek, Ernst: Laterna Magica. Zauberwelt und Faszination des optischen Spielzeugs. München 1985
Ristow, Jürgen: Vom Geisterbild zum Breitwandfilm. Leipzig 1986
Zglinicki, Friedrich von: Der Weg des Films. Berlin 1956; Reprint Hildesheim 1979

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