Friesische Haube aus dem späten 18. Jahrhundert [50]

odm0601_1Abb. 1: Haube aus grünem Samt. Über der Hauben-Mittelnaht und am Haubenrand der geklöppelte “Zerbster Strich”, eine in Heimarbeit hergestellte Halbfertigware aus Zerbst. – Ostfriesisch-jeverscher Raum, Ende 18. Jahrhundert.

“Se is ünner de Hülle kamen” – ein zum Sprichwort stilisierter Signalsatz aus dem “textilen Sprachgebrauch”, heute so aktuell wie dermaleinst, wenn Frau geheiratet hat. “Unter die Haube” zu kommen und letztere als Zeichen der Frauenwürde zu tragen, galt seit dem Mittelalter und über Jahrhunderte hinweg als höchst erstrebenswert. Erst die mit der industriellen Revolution verbundenen sozialen Umwälzungen gaben der Frau in vielen Ländern neue Impulse und Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten auch ohne das “Non plus ultra” des “Unter-die-Haube-kommens”.

Die Haube (zu althochdeutsch huba, eigentlich “die Gebogene”) entwickelte sich aus dem Kopftuch, und zu Anfang des 14. Jahrhunderts trug die Frau einen gekrausten Schleier, die Hülle. Über die Jahrhunderte hinweg gab es die unterschiedlichsten Haubenformen: Kruseler, Hermin (burgundische Form, Zuckertüte), Hörnerhaube, Flügel- und Bakkenhaube, Stuarthaube, Flebbe (Witwenhaube), Kalotte, Flinderhaube, um nur einige zu nennen. Vielfältige, oft zierliche kleine Haubenformen entstanden in den regionalen Volkstrachten.

Das Wort Tracht meint ursprünglich ganz allgemein das Tragen der Kleidung. In den Augen vieler Heimatforscher werden Mode und Volkstracht zu etwas völlig Gegensätzlichem, obwohl die meisten Volkstrachten einmal aus der Mode hervorgegangen sind.

In den deutschen Ländern emanzipierte man sich zum Ende des 18. Jahrhunderts von der in Europa zum “Maß aller Dinge” gewordenen französischen Mode, und der Wunsch nach einer “teutschen Nationaltracht” entstand. Daniel Chodowiecki machte im Jahre 1785 Vorschläge für ein “deutsches Frauenreformkleid” und Ernst Moritz Arndt rief 1814 in seiner Schrift “Über Sitte, Mode und Kleidertracht – ein Wort aus der Zeit” zur Schaffung einer deutschen Nationaltracht auf. Aber schon damals war Europa kein Ort mehr für die Entwicklung von Nationaltrachten. In ländlichen Gebieten allerdings konnten sich Volkstrachten bilden oder erhalten. Gemalte Bilder und Scherenschnitte aus dem 18. und 19. Jahrhundert zeigen uns, daß vielerorts die Frau noch Tracht trug, während der Mann sie schon abgelegt hatte.

Bürgerlich-städtische Modevorbilder vertreiben jedoch allmählich auch die ländliche Frauentracht, in Jever und im Jeverland sicherlich noch etwas früher als in Ostfriesland. Diesbezüglich schreibt Fridrich Arends schon 1820: “Im Jeverschen ist solche solide Kleidung schon weniger gebräuchlich, zumal auf den Groden, man kleidet sich da mehr nach städtischer Art, so daß oft ein Bauernmädchen von einem Stadtmädchen, auch ihrer ungezwungenen Art wegen, nicht leicht zu unterscheiden ist, welches im Westen sehr bemerklich, auch auf den Polderplätzen.”

odm0601_2Abb. 2: Anzeige aus dem Jeverschen Wochenblatt vom 17. Oktober 1849.

Die Tracht hatte sich dann hierzulande im wesentlichen auf die Frauenhaube beschränkt. Die Hüte begannen die Hauben immer mehr zu verdrängen, bis in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts sogar im Hause auf dieses einstige Attribut weiblicher Tugend verzichtet wurde.

Die ausgestellte Haube gehört seit 1982 zum Bestand des Museums, gestiftet von einem jeverschen Herrn, der nicht genannt sein möchte. Er fand sie zusammen mit 5 anderen Hauben in einer dafür vorgesehenen bunt bemalten Spanschachtel (Asch) auf seinem Hausboden. Vermutlich hatte sie vor ca. 200 Jahren eine ostfriesische Vorfahrin der Familie über die “Goldene Linie” (im Jahre 1666 festgelegte Grenze zwischen Jeverland und Ostfriesland) nach Jever gebracht.

Zur Ausstattung einer Frau gehörten 5 bis 6 Hauben, die jeweils zu bestimmten Anlässen getragen wurden: für die Hochzeit, die Trauer, den Kirchgang etc. Dann gab es noch die Staatshülle; sie blieb offiziellen Auftritten vorbehalten. Hergestellt aus Samt, Seide oder Brokat war sie oft mit Gold- und Silberstickerei verziert und mit bunten Bändern oder Goldborte besetzt. Hüllen mit Stremel (Streifen), Flebbchen (Mundband) und Bind-chen (Kopfbinde) trug man in unterschiedlicher Zusammensetzung, je nach Anlaß und Region.

odm0601_2Abb. 3: Gestickte Goldblumen für Hauben als Halbfertigware aus Zerbster Fabrikation.

Im Museum zeigen uns eine Reihe von ausgestellten Bildern, fast alle von Friedrich Adam Barnutz (1791-1867) in der l. Hälfte des 19. Jahrhunderts gemalt, daß die Frauen in Jever und “umzu” helle Spitzenhauben, mit Tüllstreifen nach altem Muster verziert, trugen. Portraitieren ließen sich überwiegend die wohlhabenden selbstbewußten Bürgerfrauen, und wir können uns denken, daß sie auch mit ihren Hauben mehr Aufwand trieben als Frauen aus anderen Sozialschichten. Barnutz hat auch Clevernser Bauernfrauen beim Kaffeeklatsch dargestellt, deren Hauben nicht so reich geschmückt sind. Aus hellen Stoffen genäht, mit bunten Bändern appliziert und um das Gesicht herum mit gerüschten Stremels versehen, wirken sie nicht ganz so vornehm wie die Hauben der Städterinnen, . . . jedoch vornehm genug!

Die Hauben wurden von Näherinnen, später Putzmacherinnen in Handarbeit hergestellt. Geschickte Frauen haben ihre Hauben sicher auch selbst genäht. Die handgeklöppelten Spitzen, die handgestickten Borten sowie die bunten Bänder konnten beim Galanteriewarenhändler erworben werden.

Im Jeverschen Wochenblatt werden fertige Hauben sowie -zubehör von den Kaufleuten angeboten. Es läßt sich denken, daß die Gold- und Silberspitzen aus Zerbst bezogen wurden (Jever gehörte von 1667-1793 zu Anhalt-Zerbst), wo Daniel Andreas Ayrer 1691 eine Gold- und Silbermanufaktur gegründet hatte. Diese Fabrik war eine der bedeutendsten Unternehmen der Stadt Zerbst; über 100 Menschen arbeiteten dort in festem Lohnverhältnis, dazu kamen zahlreiche Mädchen und Frauen, die die Halbfertigware in Heimarbeit klöppelten. Die Geschäftsverbindungen gingen weit über Deutschlands Städte hinaus, bis in den Vorderen Orient und sogar bis nach Indien. Die Manufaktur wurde im Juli 1838 Opfer der Industrialisierung und mußte Konkurs anmelden.

Im Jeverschen Wochenblatt lesen wir, daß die Kaufleute in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die billigere Konfektionsware anbieten (JW 4. 12. 1892).

Unsere Haube ist erstaunlich gut erhalten, weist kaum Trägerspuren auf, stammt sie doch vermutlich aus dem späten 18. Jahrhundert. Formbestimmend ist der friesische Schnitt, bei dem zwei Sedels (seitlich abgerundete Stücke) durch eine Mittelnaht verbunden sind. Im Nacken ist der Stoff in Falten gelegt und auf dem Oberkopf gekräuselt, so daß eine paßgerechte Rundung entsteht. Applizierte handgeklöppelte Goldspitze schmückt den flaschengrünen Samt entlang der Mittelnaht und rund um das Gesicht herum. Das Futter ist braungrundiger Kattun mit weißem Blättchenmuster, zur Versteifung unterlegt mit mehreren Schichten Vliesstoff. Grüne Baumwollitze faßt das Gebilde sauber ein. Gebunden wird die Haube mit dicht gewirktem Goldband.

Wir wissen nicht, ob die “jeversche Ostfriesin” ihre Haube ohne Beiwerk auf dem Haar trug, oder ob sie ein Mullhäubchen oder ein Spitzentuch darunter hatte. Gut ausgesehen hat sie mit dieser schönen Haube allemal.
Ingrid Hentzelt

Literatur:
Arends, Fridrich: Ostfriesland u. Jever, 3 Bde., Emden 1820.
Brockhaus’ Konversations-Lexicon. 14. Aufl., 16 Bde., Leipzig 1892.
Meyers großes Taschenlexikon. 24 Bde., Mannheim 1981.
Ottenjann, Helmut: Lebensbilder aus dem ländlichen Biedermeier: Sonntagskleidung auf dem Lande. Cloppenburg 1984.
Thiel, Erika: Geschichte des Kostüms. Die europ. Mode von den Anfängen bis zur Gegenwart. 7. Aufl. Wilhelmshaven 1987.
Winter, Bernhard: Unsere alte Volkstracht. In: Heimatkunde des Herzogtums Oldenburg, 2 Bde., Bremen 1913.

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