Ein altes Waschgeschirr aus Steingut [18]

wasch1Waschgeschirr, bestehend aus Waschschüssel, Wasserkante und Kammschale. Steingut, um 1900. Druckdekor: blaue Blumenbouquets. Firmenstempel auf Unterseite von Schüssel und Kanne: THEODOR PAETSCH. FRANKFURT A/O.

Bis zuletzt hat das ausgestellte Waschgeschirr, gefertigt aus Steingut und bestehend aus Schüssel, Krug und Kammschale, im Schlafzimmer der 1897 geborenen und 1988 verstorbenen Auguste Bäsemann gestanden. Um 1900 war es von deren Mutter in Jever gekauft worden und später in ihren Haushalt übergegangen. Über die Zeit des täglichen Gebrauchs hinaus, die bis in die 50er Jahre unseres Jahrhunderts reicht und ihre Spuren in den abgestoßenen Ecken und den Kratzern hinterlassen hat, wurde es sorgfältig aufgewahrt. Erinnerungsbeladen und wohl aus dem Gedanken des ‘Vielleicht-noch-einmal-gebraucht-werdens’ heraus behütet, hat es Zeiten überdauert, in denen viele dieser überflüssig gewordenen alltäglichen Dinge unbeachtet weggeworfen wurden oder später bestenfalls beim Trödler landeten. Von der Enkelin, der diese Waschgarnitur zugedacht war, ist sie dem Museum übergeben worden.

In die geschickt ausgeleuchtete Vitrine des Museums gestellt, erscheint dieses Waschgeschirr nun all diesen Zusammenhängen vollkommen enthoben. Und das Betrachten gerät in Gefahr, sich in dem künstlichen Glanz zu verlieren und nur mehr das Alte am Alten zu bestaunen. Wenn aber geschichtliches Wissen eingeholt wird, dann zeigen sich uns diese Dinge als frühe Produkte und Bestandteile eines zivilisatorischen Prozesses, der bis in die Gegenwart reicht und sich heute in unzähligen Warenhausproduktionen niederschlägt.

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts begann sich ein verändertes hygienisches Verhalten durchzusetzen. Anders als in den beiden vorausgegangenen Jahrhunderten, in denen Baden und Waschen des Körpers verpönt waren, wurde jetzt von ärztlicher, aber auch von obrigkeitlicher Seite auf die gesundheitliche Bedeutung der regelmäßigen Körperreinigung hingewiesen.

Zwar klagte 1878 noch ein Kieler Medizinalrat darüber, daß “die erdrückende Mehrheit unserer Mitbürger (…) mit dem ersten Reinigungsbad nach der Geburt mit dieser Art Körperbenetzung abgeschlossen (hätte).” (Katalog ‘Frisches Wasser’). Doch schon Ende des 19. Jahrhunderts gehörte das Waschgeschirr auf der mit einer Marmorplatte ausgestatteten Kommode zum Inventar der Haushalte breiter Bevölkerungskreise. Auch im ‘Jeverschen Wochenblatt’ sind die Angebote solcher “Waschgarnituren in großer Auswahl, bis zu den feinsten” um die Jahrhundertwende, regelmäßig zu finden.

wasch2Anzeige im ‘Jeverschen Wochenblatt’, 1907.

Das öffentliche Anprangern unhyienischer Zustände war sicher an der Herausbildung neuer Einstellungen beteiligt. Die wichtigste Voraussetzung aber für die rasche und weite Verbreitung des veränderten Reinlichkeitsverhaltens hatte die industrielle Produktion geschaffen.

Aus dem Jahre 1899 stammt die Beschreibung der Steingutherstellung in einer Bonner Fabrik. Sie dürfte in etwa auch für die Fabrik ‘Theodor Paetsch’ in Frankfurt an der Oder zutreffen, aus der das ausgestellte Geschirr stammt. Von der Herstellung der Rohmasse in maschinenbetriebenen Mühlen und Pressen bis zum Verpacken der Fertigprodukte war der Arbeitsprozeß in eine Vielzahl von einzelnen Tätigkeiten aufgeteilt. “Geübte Mädchen” übertrugen das Blumenmuster des Dekors vom bedruckten Papier auf den rohen Scherben, der aus der Dreherei gekommen war. Nach dem Abwaschen des Papiers und dem Verglühen des überflüssigen Öls der Farben mußte der Scherben dann in das Glasurbad getaucht werden und ging schließlich in die Brennerei. Oft schlossen sich weitere Veredelungsarbeiten an. Die Artikel konnten so massenhaft hergestellt und zu Preisen angeboten werden, die sie auch für weniger wohlhabende Bevölkerungsschichten erschwinglich machten.

Die Verbreitung dieser der Hygiene dienenden Produkte bedeutete Fortschritt im zivilisatorischen Sinne. Dafür steht auch das ausgestellte Waschgeschirr. Was aber nicht ausgeblendet werden darf, sind die oft krassen Widersprüche, die diesen Prozeß durchziehen. Da wurde z.B. Hygiene zur Erhaltung eines gesunden Körpers empfohlen, doch die Produzenten der für diese Hygiene hergestellten Gegenstände hatten zwölf und mehr Stunden tagtäglicher, oft zermürbend monotoner Arbeit zu verrichten. Unter der glänzenden Oberfläche auch des alten Waschgeschirrs aus Steingut sind diese Zusammenhänge wohl am tiefsten vergraben.
Peter Schmerenbeck

wasch3Glattdruckerei einer Steingutfabrik, 1899. Bildarchiv Rheinisches Freilichtmuseum

Literatur:
Berwing, Margit u.a.: Steingutfabrik und Kunsttöpferei Franz Anton Mehlem in Bonn und Steingutfabrik Villeroy & Boch, Bonn. Köln 1984
Delille, A.; Grohn, A.: Geschichten der Reinlichkeit. Frankfurt/M. 1986
Frisches Wasser. Katalog zur Ausstellung des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums in Schleswig. 1987

© Schloßmuseum Jever