Das Jaspersche Haus am Schlosserplatz in Jever. Gemälde von Caspar Sonnekes (1821 – 1899) [22]

jasper2Das Jaspersche Haus am Schlosserplatz in Jever. Gemälde von Caspar Sonnekes (1821 – 1899). Öl auf Holz, um 1860/65.

Unter den zahlreichen Bildern und Porträts, die 1987 aus dem Nachlaß von Erna Dugend-Jaspers dem Schloßmuseum Jever übergeben wurden, befand sich auch ein Ölgemälde von Caspar Sonnekes (1821 – 1899), welches das Jaspersche Haus am Schlosserplatz zeigt. Es ist das Großelternhaus des in Oldenburg geborenen Philosophen Carl Jaspers (1883 – 1969), der während seiner Kindheit etliche Ferientage in diesem Anwesen verlebte und dadurch – wie seine eigenen Aufzeichnungen belegen – enge Beziehungen zum großelterlichen Haus und seinen Bewohnern entwickelte.

Das Bild erinnerte Jaspers wohl ständig an unbeschwerte Kindertage. Bis zu seinem Ableben im Jahre 1969 begleitete es ihn an seinem Arbeitsplatz in Basel, von wo aus er in Gedanken zurückschweifte: “Das Haus in Jever erschien mir wie ein Schloß. Der gelbe Bau, gekrönt von Balustraden, lag leicht erhöht in einem Garten … Über eine Freitreppe schritt man, noch eine schmale Terrasse überquerend, zur Haustür, trat in den Vorraum, in dem der Glasschrank mit ausgestopften Vögeln stand und Gemälde hingen … Durch dieses Haus”, so fährt Jaspers an anderer Stelle fort, “fühlte ich mich im vornehmsten Jever. Mein Großvater benahm sich entsprechend, indem er abends zum Wirtshaus stets im Zylinderhut mit Handschuhen ging.”

Lokalhistorisch gesehen fängt das kleine Gemälde freilich noch mehr ein als die Erinnerungen eines großen Philosophen. Es spiegelt zugleich ein Stück kleinstädtischer Zeit- und Kulturgeschichte. Der Maler Caspar Sonnekes, Zeichenlehrer am Jeverschen Gymnasium und über die Rolle eines guten Porträtmalers und Kopisten kaum hinausgewachsen, läßt in dieses Bild seine biedermeierliche Liebe zum Detail einfließen. Werfen wir zunächst einen Blick auf den Vordergrund des Bildes: In den parkähnlichen Anlagen vor dem Gebäude sind drei Personengruppen dargestellt. Dort, wo heute das Schlosser-Denkmal¹ steht, hat ein Schüler seine Schiefertafel und Schulbücher abgelegt und ist gerade damit beschäftigt, ein Vogelnest auszunehmen. Mit der linken Hand teilt er die Zweige des Gebüschs auseinander, während er in seiner rechten bereits das begehrte Vogelei hält. Sein Kamerad beobachtet vom gelben Sandweg aus den “Diebstahl”, während die beiden abseits stehenden Knaben sich gerade dem Geschehen zuwenden wollen. Augenzwinkernd hat hier der Maler eine Szene festgehalten, wie sie im Bereich der nahen Knabenschule sicher häufiger zu beobachten war. Und nicht rein zufällig hat er dem Treiben zwei Straßenhunde zugeordnet, die sich selbst überlassen auf der freien Rasenfläche herumtollen.

Am linken Bildrand tritt eine zweite Personengruppe in Erscheinung. Eine Dienstmagd, in braunem Arbeitskleid und schwarzem Kopftuch, trägt schwer an einem Gegenstand, während die beiden jungen Frauen in ihren kurzen Sommerkleidern und luftigen Strohhüten beinahe leichtfüßig ihren Einkaufsgang unternehmen. Die dritte Gruppe bilden zwei spazierengehende Frauen, wobei sich die vordere in ihrem violetten, spitzenbesetzten Krinolinenkleid, dem Federhut und dem zur Schau getragenen türkisfarbenen Sonnenschirm als Dame der oberen jeverschen Gesellschaftsschicht zu erkennen gibt. Es scheint, als habe der Künstler diese Gruppe ganz bewußt vor dem majestätischen Gebäude flanieren lassen, das als gelber Korpus vor dem wolkigen Hintergrund, terrassenseitig eingetaucht in das helle Licht der Mittagssonne, den Mittelpunkt des Gemäldes einnimmt.

Das Haus beherrscht noch heute die Szene am Schlosserplatz – ein Terrain, das als Teil der ehemaligen Wallanlage den Übergang zwischen dem alten Stadtkern und der Bahnhofsvorstadt markiert. Im Hintergrund sind die Hausdächer der Bahnhofsstraße zu erkennen. Selbst der Giebel des Trouchonschen Hauses scheint herüber, das mit seinem vorspringenden Mittelrisalit eine Umkehrung des architektonischen Prinzips des Jasperschen Hauses darstellt, wo zwei Seitenrisalite das Eingangsportal und den von Säulen getragenen Altan einrahmen. Caspar Sonnekes malte alles mit fotographischer Genauigkeit, so daß der Darstellung zugleich ein bauhistorischer Quellenwert zukommt, indem sie das Haus ohne die späteren Giebelaufbauten und den hinteren Terrassenanbau zeigt.

Bauherr war Carl Wilhelm Jaspers (gest. 1889). Seine Einkünfte aus dem Landgut Sanderbusch und der Verwaltung von sieben Landstellen räumten ihm schon früh die Möglichkeit ein, die Rolle des Landmanns mit der des Proprietärs zu vertauschen. Um 1857 errichtete er in Jever seinen repräsentativen Alterswohnsitz. Etwa fünf Jahre später dürfte Sonnekes den Auftrag zur “Porträtierung” des Gebäudes erhalten haben, nachdem er zuvor schon das Deckengemälde für den großen Mittelsaal geschaffen hatte. Den Bauherrn selbst bildete der Maler gemeinsam mit seiner Frau im Eingangsportal des Hauses ab, ausgehbereit im schwarzen Gehrock, ganz wie sein Enkel ihn später schilderte.

Das Bild besitzt in sich Wert genug, als qualitätsvolles Zeugnis eines im Stil des romantischen Realismus malenden Künstlers bezeichnet zu werden. Sein Reiz liegt aber auch in der Übermittlung verschiedener “Botschaften”, die von der Gesamtkomposition des Bildes ausgehen und es gleichsam zu einem zeitgeschichtlichen Dokument der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts werden lassen. Denn das ins Zentrum der Darstellung gerückte Gebäude ist nicht nur ein architektonisches Beispiel für die nachklassizistische Bautätigkeit im nördlichen Oldenburger Land, sondern zugleich ein Zeichen für das wirtschaftliche Vermögen des Bauherrn, eines Angehörigen der ländlichen jeverschen Oberschicht, deren Wertemuster sich eindeutig an denen des städtischen Patriziats orientierten. Insofern sind auch die abgebildeten Personen nicht nur in ihrer dargestellten instrumentalen Funktion zu sehen, sondern auch in ihrer weiteren Bedeutung, die häufig nur in Einzelheiten übermittelt werden – wie zum Beispiel in den Schülermützen der “Eierdiebe”. Diese Mützen – nach dem Vorbild der Studentenverbindungen Mitte des 19. Jahrhunderts aufgekommen – besaßen Zeichenhaftigkeit in doppelter Hinsicht. Zum einen gaben sie den mit der Rangordnung Vertrauten zu verstehen, welcher Klassenstufe der Mützenträger zuzuordnen war, zum anderen trugen sie zur Vermittlung eines Standesbewußtseins bei, das die Gymnasiasten von den gleichaltrigen Lehrlingen oder Schülern anderer Schulen abgrenzte.

Solche Einzelheiten zu decodieren, war den Zeitgenossen leicht; sie in ihrer historischen Vielschichtigkeit zu begreifen, fällt heute mitunter schwer. Diese Begrifflichkeit zu sichern und damit Verstehen für (lokal)historische Zusammenhänge zu schaffen, gehört zu den Aufgaben eines Regionalmuseums. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde das aussagekräftige Bild – knapp 130 Jahre nach seiner Fertigung – zum Objekt des Monats April 1989 gemacht.
Uwe Meiners

Literatur:
Kurt Asche: Bestandsaufnahme denkmalwürdiger Häuser und Objekte in Jever. 1976 (Manuskript).
Hein Bredendiek: Caspar Heinrich Sonnekes. Ein jeverscher Maler und Schulmann (1821 – 1899). In: Historienkalender auf das Jahr 1954, Jever, S. 43 – 45.
Hein Bredendiek: Das jeversche Jaspers-Haus. In: Historienkalender auf das Jahr 1971, Jever, S. 18 – 20.
Karl Jaspers: Schicksal und Wille. Autobiographische Schriften. Hrsg. von Hans Saner. München 1967, bes. S. 49ff.

¹Friedrich Christoph Schlosser, Historiker. Geb. 17.11.1776 in Jever, gest. 23.9.1861 in Heidelberg.

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