Bemalter Kofferkasten aus dem 19. Jahrhundert [10]

kkasten1Kofferkasten aus Weichholz, 2. Viertel 19. Jahrhundert. Herkunftsgebiet vermutlich Thüringen. H. 27 cm, L. 34,5 cm, T. 24,5 cm. Beigebrauner Grund. Auf den Seitenteilen ovale bzw. runde Felder in taubenblauer Grundierung. Darauf und an den Seiten stilisierter Blumendekor. Gewölbter, hinten leicht überkragender Klappdeckel mit einer von Blumen eingerahmten Genreszene. In der Front einfaches, linksseitig abgerissenes Schlüsselschild aus dünnem Messingblech.

Zu den beliebten Sammlungsgegenständen volkskundlicher Museen gehören im allgemeinen die bemalten Spanschachteln. Auch das Schloßmuseum Jever kann auf zwölf Stücke dieses kleinen Verwahrmöbels verweisen, das während des 18. und 19. Jahrhunderts eine wahre Blütezeit erlebte. Die Museen des frühen 20. Jahrhunderts sahen in den farbigen Bemalungen typische Zeugnisse der Volkskunst. Allein dieser Bewertung verdanken wir wohl auch den Erhalt eines Kästchens, das zwar keine Span- oder Haubenschachtel darstellt, aber wegen seiner ähnlichen farbigen Verzierungen um 1910 in den Bestand des Museums gelangte. Es stammt aus einem jeverschen Pastorenhaushalt.

Die kleinen Kastenmöbel, in Norddeutschland als Lade, Schrein oder Nasch bezeichnet, gehörten zur Grundausstattung eines jeden Haushalts. In ihnen wurden Schriftstücke, Nähzeug, Wertgegenstände und überhaupt alles verstaut, was man an kleinen Dingen aufzubewahren pflegte. Nicht selten waren sie Hochzeitsgaben von Verwandten und Freunden oder auch Geschenk der Brautleute untereinander. Die Forschung sieht in den kleinen Behältnissen Nachfahren der seit dem Mittelalter in Adels- und später auch in Patrizierkreisen benutzten Minnekästchen.

Während man den Spanschachteln eine eigene Machart und Formentwicklung zubilligen kann, sind die meisten Kästchen formal den Großmöbeln nachempfunden. Der hier vorgestellte kleine “Koffer” erinnert stark an den Typ der Runddeckeltruhe, die im nördlichen Weser-Ems-Bezirk während des 18. Jahrhunderts zunehmend beliebter wurde.

In kleineren Haushalten blieb die Truhe bis ins 19. Jahrhundert das vorherrschende Verwahrmöbel für Textilien, aber auch für jene Kästchen, in denen vor allem Frauen und Mädchen ihre persönlichen Habseligkeiten bargen. Als bei der Nachlaßaufnahme der Witwe Adden, die bis zu ihrem Tode am 29. März 1810 ein kleines Haus (“Kitze”) auf der Burgstraße in Jever bewohnte, auch die Sachen ihrer wenige Wochen zuvor verstorbenen Tochter gesichtet wurden, fand sich in einem “tannen Koffer” mit Kleidungsstücken auch ein “kleiner Koffer” mit Bargeld, einem Gesangbuch und etlichen Schmuckstücken (STA Oldenburg: Best. 262-4, Nr. 8019).

Zu ähnlicher Verwendung dürfte auch das ausgestellte Kästchen bestimmt gewesen sein. Es ist mit einem kleinen Kastenschloß versehen, das Unbefugten den allzu leichten Zugriff auf das Innere verwehren sollte. Zum “Tresor” eignete sich das aus etwa 1 cm starken Fichtenholz gefertigte Behältnis freilich nicht. Seitenteile und Bodenbrett wurden nicht miteinander verzinkt, sondern nur stumpf verleimt bzw. vernagelt. Der gewölbte Klappdeckel ist mit der Rückwand lediglich verdrahtet, kein Scharnier hält ihn am Korpus fest. Dennoch kann diese eher flüchtig anmutende Verarbeitung nicht darüber hinwegtäuschen, daß bei der Herstellung geübte Hände aus dem holzverarbeitenden Gewerbe am Werk waren. Aufgrund der gewellten Oberflächenstruktur des innenseitig geglätteten, farblich unbehandelten Holzes ist anzunehmen, daß die astfreien Brettchen aus einem zurechtgeschnittenen Kloben gespalten wurden. Eine solche Spalttechnik, die auch zur Herstellung von Dachschindeln angewandt wurde, ist in den waldreichen Hausindustrieregionen der deutschen Mittelgebirge allgemein üblich gewesen. So auch im Thüringer Wald, wo wohl unser Kofferkasten hergestellt wurde.

kkasten2Darstellung auf dem Klappdeckel. Vor blauem Hintergrund ein von Bäumen eingerahmtes Ehepaar in Biedermeierkleidung. Mann in grünem Rock und gelber Hose, Frau in dunkelrotem Kleid. Vor ihnen ein auf einem schwarzen Hund reitender Junge in roter Weste und gelber Hose. – Das Bild zeigt starke Abnutzungsspuren und wurde laienhaft restauriert.

Ähnlich wie die massenweise Herstellung von Spanschachteln in den Händen von Heimgewerblern lag, war auch die Produktion solcher Kästen kaum auf die auf Einzelanfertigung abgestimmte Werkstatt eines Tischlers konzentriert. Die Kästen waren Serienprodukte, die – wie Beispiele belegen – auch zum Versenden des erzgebirgisch-thüringischen Holzspielzeugs benutzt wurden. Ihre individuelle Note erhielten sie erst durch die Bemalung.

Im gezeigten Beispiel versah der Maler das rohe Holz außenseitig zunächst mit einem Kreidegrund. Anschließend gab er dem gesamten Korpus den beigebraunen Farbüberzug. Erst dann folgte die eigentliche Bemalung mit Temperafarben. Die Seitenflächen erhielten das auf blauem Grund eingerahmte Blumendekor. Ins Blickfeld des Betrachters aber sollte das Bild auf dem Klappdeckel rücken, das ein von Bäumen umgebenes, spazierengehendes Paar im Kleidungsstil des Biedermeiers zeigt. Ein kleiner Junge reitet ihnen auf einem Hund voran.

Das Bild gleicht in seiner Gestaltung Ausführungen, wie man sie auf Spanschachteln aus dem zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts häufig findet. Die “kleinen” Maler ahmten im Grunde das nach, was die großen Künstler der Zeit zu einem zentralen Thema ihrer Malerei machten: Paar- und Familiendarstellungen in häuslicher Umgebung oder beim Spazierengehen vor den Toren der Stadt.

Die Betrachtung des Kästchens könnte also mit dem Hinweis schließen, daß sich die Ausformung popularer Kunst vielfach auf das zeitlich verzögerte Nachahmen oder Umformen von Elementen der höheren Kunst reduziert. Oberflächlich gesehen, wären mit einer solchen Aussage viele Erscheinungen der Volkskunst korrekt beschrieben. Aber sie träfe nur die formale Seite. Von Bedeutung ist ferner die Frage, unter welchen Umständen sich volkskünstlerisches Schaffen entfaltete. Den möglichen Käufern, denen im letzten Jahrhundert die reizvollen Spanschachteln oder Kästen auf dem Markt durch Händler angeboten wurden, blieben die Umstände verborgen, unter denen diese Stücke entstanden, nämlich als Produkte einer vom Verlagswesen völlig abhängigen Hausindustrie. Die Menschen, die sie im Thüringer Wald herstellten, brachte diese Produktionssituation im Laufe des 19. Jahrhunderts in immer größere Not. Denn den Preis, den die über Nürnberg vertriebenen Waren etwa auf dem Markt in Jever erzielten, bestimmten nicht die Produzenten, sondern die Verleger. Der Verdienst wurde für die “Volkskünstler” umso geringer, je weiter die Industrialisierung und damit der Konkurrenzdruck von außen voranschritt.

Ein Aspekt der Volkskunst also, der in der Regel nicht in Erscheinung tritt, wenn der unwidersprochene Liebreiz des hier gezeigten Gegenstands zur Geltung kommt.
Uwe Meiners

Literatur:
Gertrud Benker: Altes bäuerliches Hausgerät. München 1976
Kurt Dröge/Lothar Pretzell: Bemalte Spanschachteln. Geschichte, Herstellung, Bedeutung. München 1986
Georg Himmelheber: Kleine Möbel. Modell-, Andachts- und Kassettenmöbel vom 13. bis 20. Jahrhundert. München 1979
Ernst Schlee: Die Volkskunst in Deutschland. Ausstrahlung, Vorlagen, Quellen. München 1978
Hans Siuts: Worin bewahrte Urgroßmutter ihre Hauben auf? In: Historienkalender. Jever 1964, S. 20-27

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