Ein Puppenwagen aus den zwanziger Jahren [36]

odm04001Puppenwagen aus der Zeit um 1925/30, Marke “Excelsior”. Braun gestrichener Sperrholzkasten mit Klappverdeck und weißem Spitzenvolant. Fahrgestell mit Federvorrichtung. Schloßmuseum Jever.

Der hier vorgestellte Puppenwagen der Marke “Excelsior” mag heute das Herz manches Sammlers höherschlagen lassen. Um 1925/30 ist er vielleicht dazu bestimmt gewesen, den sehnlichsten Wunsch einer jungen Puppenmutter zu Weihnachten zu erfüllen. Daß ein Puppenwagen auf der Wunschliste der kleinen Mädchen vor dem Ersten Weltkrieg weit oben rangierte, ist z. B. an den Inseraten im Jeverschen Wochenblatt abzulesen. Die Spielwarenhändler warben nämlich nicht nur für Spielzeug allgemein, sondern für Puppen und Puppenwagen im besonderen. Auffällig an der chronologischen Annoncenserie aber ist, daß in der Vorweihnachtszeit der Jahre zwischen 1916 und 1925 nur ganz wenige Anzeigen für Spielzeug zu finden sind. In den späten Kriegsjahren und der Phase des schwierigen wirtschaftlichen Wiederaufbaus waren warme Socken und Schuhe wichtiger als Puppen und Puppenwagen.

Der braun angestrichene Sperrholzkorb unseres Puppenwagens wird von einem Riemenfedergestell getragen. Allein schon deshalb ist das Modell als gut ausgestattet zu bezeichnen, denn die früheren und einfacheren Ausführungen waren keineswegs gefedert. Auch die Vollgummiräder zeugen davon, daß dieser Wagen nicht zu den frühen seiner Gattung zählt, die nämlich noch meist mit Eisenrädern ausgestattet waren. Um den Puppenwagen schieben zu können, mußten die Puppenmütter am weißen Porzellangriff anfassen, und damit die Puppe je nach Wetterlage Ausschau halten konnte oder vor Regen geschützt war, konnte das aus versteiftem Leinen bestehende Klappverdeck herunter- oder hochgeklappt werden. Innen ist der Wagen mit Papierleinen ausgeschlagen, und nach dem Vorbild der “richtigen” Kinderwagen wird der Abschluß des Verdecks mit einem weißen Spitzenvolant verziert.

Während das Spielen mit Puppen auf eine lange Geschichte zurückblicken kann – Puppen gab es über die Jahrhunderte hinweg in verschiedenen Ausführungen (wie z. B. Holz-, Wachs- und Porzellanpuppen), so ist der Puppenwagen zum Schieben noch eine relativ junge Erscheinung. Der Grund hierfür ist in der Tatsache zu suchen, daß der Puppenwagen als direktes Abbild des Kinderwagens verstanden werden muß und dieser erst im 19. Jahrhundert aufgekommen ist. Erst ab etwa 1850 wurde es üblich, Säuglinge und Kleinstkinder in der frischen Luft auszufahren. Dieses auf die gesunde Entwicklung der Kinder bedachte Pflegeverhalten geht auf die “sportlichen” Engländer zurück, die den Aufenthalt an der frischen Luft als notwendig für das Gedeihen der Kinder propagierten. So kamen um 1880 komfortable Kinderwagen mit Körbchen auf, die geschoben wurden, um einen direkten Augenkontakt zwischen Mutter und Kind zu ermöglichen (Weber-Kellermann 1979: 155). Diese Art von Kinderwagen lösten die Holzwägelchen zum Ziehen ab, die uns von den Abbildungen aus der Biedermeierzeit bekannt sind. Allerdings waren diese Wagen nur für Kinder geeignet, die schon sitzen konnten. Da Puppen im Leben der kleinen Mädchen eine große Rolle spielten, war es einleuchtend, daß sich die Spielzeugindustrie am aufkommenden Kinderwagen orientierte und entsprechende Puppenwagen produzierte. Im Jeverschen Wochenblatt vom 17. November 1888 findet sich ein früher Hinweis auf den Verkauf geschobener Puppenwagen.

Die Rollenfixierung, die über das Spielzeug erfolgte, ist klar erkennbar. Mit Hilfe eines Puppenwagens konnten die kleinen Mädchen ihre zukünftigen Aufgaben einüben, zugleich aber auch ihre konkrete Erfahrungswelt nachspielen (Pohl-Weber: 5). Es ist jedoch auch wichtig festzuhalten, daß das Spielen mit einem solchen Puppenwagen nicht für alle Mädchen möglich war. Während die Mädchen aus bescheidenen Verhältnissen oft über gar kein Spielzeug verfügten, einmal abgesehen von den aus Holz, Lumpen oder Strickwaren selbst verfertigten Puppen, bestand für die Mädchen höherer Schichten allenfalls die Qual der Wahl. Besonders in bürgerlichen Kreisen war der Puppenwagen ein beliebtes Spielzeug.

Bürgerliche Orientierungsmuster aber zeigten auch die wohlhabenden Jeverländer Bauern während des 19. Jahrhunderts, wenn sie ihren Kindern Spielzeug schenkten, das wohl nur in den städtischen Warenhandlungen zu haben war. So findet sich 1836 im Nachlaß des wohlhabenden Landwirts Franz Harms zu Buschhausen neben dem Kindermobiliar (kleiner Tisch, Sofa und Fußbank) auch “ein kleiner glaserner Schrank mit Spielsachen” (StA Oldenburg: Best. 76 – 16 B 532). Dieser Notiz ist insofern Bedeutung beizumessen, als verzeichnungswürdiges Spielzeug in den meisten bäuerlichen Haushalten des 18. und 19. Jahrhunderts in der Regel nicht vorhanden war. Spielzeug – und auch unser Puppenwagen gehört dazu – ist ein feiner Indikator für die Maßstäbe einer Gesellschaft, und nicht nur in diesem Beispiel zeigt sich, wie eng die wohlhabenden Jeverländer Bauern im 19. und 20. Jahrhundert sich an städtischbürgerlichen Kulturmustern anlehnten.
Brigitte Meiners

odem04002Mädchen mit Puppenwagen im Garten eines bäuerlichen Gehöfts im nördlichen Oldenburger Land, um 1925/30. Bildarchiv Schloßmuseum Jever.

Literatur:
Rosemarie Pohl-Weber: Spielzeug unserer Eltern. Bremen o. J.
Der Universal-Spielwaren-Katalog 1924 mit Neuheiten-Nachtrag 1926. Hrsg. und kommentiert von Manfred Bachmann. Leipzig/München 1985.
Ingeborg Weber-Kellermann: Die Kindheit. Kleidung und Wohnen, Arbeit und Spiel. Eine Kulturgeschichte. Frankfurt a. M. 1979.

© Schloßmuseum Jever